Nahverkehr und Wert

Heute hatte ich einen Fahrgast, gut sitzender Anzug, dezent gemusterte Krawatte, Designermuskeln. Kurzum: Typ Unternehmensberater.
»Ahhh«, säuselte er, als er sich auf der Rückbank meines Taxis niederließ und den Hinterkopf beinahe auf der Hutablage ablegte. »Endlich Ruhe.«
»Wo waren sie denn vorher?«, fragte ich.
»In der U-Bahn. Mein Gott. Ich weiß schon, warum ich mir meistens ein Taxi gönne. Gerlingviertel, bitte.«Es ist ein interessanter Gedanke, er gönnt sich ein Taxi, um dem Lärm der Menschen zu entgehen. Dabei könnte man auch sagen, dass er sich die Bahn gönnt, denn ihr Preis ist auch nicht ohne.
Die KVB, wie die meisten Nahverkehrsbetriebe, arbeitet defizitär und wird von Steuermitteln bezuschusst. Damit gönnt sich Herr Krawatte beim Ticketkauf die Fahrt doppelt. Es fühlt sich nur nicht so an, weil das Ticket vergleichsweise billig und die Steuern kompliziert verschleiert sind.
Wenn ich als Taxifahrer auch aus Steuermitteln bezahlt würde, wäre sein Gefühl in meinem Font anders?
Ich mache jetzt Anleihen bei Marx, aber kann es sein, dass der Fetisch Taxifahrt erst durch den Preis, der verlangt wird, zu Fetisch wird?
Oder anders gefragt, kann etwas als wertvoll empfunden werden, was scheinbar nichts kostet?
Das sind Fragen, die ich dem Herrn nicht gestellt habe, zu gestresst wirkte er und auch die Unternehmensberatung wird bestimmt als so wertvoll angesehen, weil sie teuer verkauft wird.
Vor einigen Jahren hatte mit ein Gast erzählt, dass, wenn man alle Ticketverkäufer, alle Fahrkartenautomaten und Kontrolleure abschaffen würde, man auch die Bahnfahrt umsonst machen könnte. Er meinte, es würde sich betriebswirtschaftlich nicht verändern, er kenne sich da aus. Ob das stimmt, mag ich nicht sagen.
Wenn das stimmte, würden wir das wollen?
Von den vielen, dann arbeitslosen Menschen, die mit ihren starken kölschen Akzenten kaum vermittlungsfähig wären, einmal abgesehen: Würde dann die Bahnfahrt nicht komplett zum wertlosen Verkehrsmittel verkommen?
Ist es gerade die Vermischung von versteckter und offener Finanzierung, die die Nahverkehrsbetriebe deutschlandweit zum geschätzten, nicht geliebten, Fortbewegungsmittel für alle Schichten machen?
Mit dem Taxi zu fahren bleibt ein bescheidener Luxus.
Vor allem in einer 1995 E-Klasse mit Ledersitzen und einem Philosophen am Steuer.

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